Dieser //SEIBERT/MEDIA-Artikel ist am 6. Januar 2010 auch im Online-Magazin Dr. Web erschienen.
Die E-Mail: Segen für Unternehmen
Die E-Mail hat die (geschäftliche) Kommunikation so stark verändert wie keine zweite Kommunikationsform in den letzten Jahrzehnten. Es ist völlig unbestritten, dass wir ihr eine dramatische Modernisierung und Beschleunigung, eine schnellere und unkompliziertere Kommunikation als je zuvor verdanken.
Versuchen wir kurz, uns vorzustellen, wie wir ohne E-Mails kommunizieren würden:
- Wir würden den Großteil des Tages telefonieren.
- Wir würden stundenlang mit persönlichen Gesprächen und in Meetings verbringen.
- Wir würden täglich Dutzende oder Hunderte Faxe lesen und schreiben.
- Dokumente würden sich in Briefumschlägen in der Ablage stapeln, die klassische Portokasse wäre ein Muss.
Natürlich telefonieren viele Menschen notgedrungen auch heute noch häufig geschäftlich und verbringen reichlich Zeit in Meetings. Doch um das Kommunikationspensum, das wir heute dank der E-Mail täglich leisten, mithilfe von Telefon, persönlichen Gesprächen, Fax und Briefen abzubilden, würde auch ein sehr langer Arbeitstag ganz sicher nicht ausreichen, von produktiver Arbeit ganz zu schweigen. (Es wäre vielleicht einen separaten und wohl ziemlich umfangreichen Artikel wert, um eine solche Situation einmal intensiver zu durchdenken.)
Die falsche Anwendung von E-Mails: Fluch für Unternehmen
Wir haben also zum Glück die E-Mail. Alles ist gut? Ganz und gar nicht, denn:
Der Siegeszug der E-Mail ist viel zu weit gegangen.
Wir sehen uns nämlich einer offenkundigen Diskrepanz gegenüber: Die E-Mail wird missbraucht, es wird versucht, Dinge mit ihr abzubilden, die auf andere Art und Weise (und mit anderen Technologien) viel besser und sinnvoller abgebildet werden können. Die Frage lautet also: Wofür ist die E-Mail gemacht und wofür wird sie genutzt?
Die Grundfunktion einer E-Mail besteht darin, Textinformationen zu versenden. Das funktioniert prima. E-Mails können Dateien hinzugefügt werden. Auch das ist mitunter sinnvoll – der Rechner des Empfängers muss diese natürlich verarbeiten können.
Doch schon die HTML-E-Mail ist meiner Auffassung nach eine Form des „Missbrauchs“: Nicht jeder Anwender kann sie problemlos ansehen, die HTML-Darstellung ist kein unmittelbarer Dienst eines Mail-Programms, zusätzlich sind Browser-Komponenten erforderlich. Dies aber nur am Rande – das HMTL-Format ist in erster Linie unter Marketing- und auch Usability-Aspekten zu betrachten. An dieser Stelle soll indes die Produktivität von Mitarbeitern im Mittelpunkt stehen.
Meiner Erfahrung nach gibt es zwei entscheidende Formen des E-Mail-Missbrauchs in der Unternehmenskommunikation, die sich auf mehreren Ebenen negativ auswirken, nämlich auf die Produktivität (auf die Qualität von Dokumenten und Arbeitsergebnissen) und auf die Transparenz im Unternehmen. Hier meine ich den Versand von statischem Wissen in E-Mails mit Anhängen und das Versenden von Aufgaben.
Diese Thesen werde ich in zwei Artikeln, die sich diesem Beitrag anschließen, ausführlich begründen. Zunächst aber zu den Auswirkungen des E-Mail-Missbrauchs, für den es ein untrügliches Indiz gibt: Manager, Bereichsleiter, Projektmanager und viele Mitarbeiter in großen und auch in kleinen Unternehmen ertrinken förmlich in E-Mails!
Die E-Mail-Flut und die Produktivität
Ich möchte das an einem Bild verdeutlichen: Stellen wir uns jemanden vor, der vor einem großen Berg Münzen sitzt und die Aufgabe hat, diese zu sortieren – abzuarbeiten also. Jede Münze muss er in die Hand nehmen, auf ihren Wert prüfen und in einer bestimmten Schale ablegen. Es wird dem Mitarbeiter indes nicht leicht gemacht, denn klimpernd fallen aus einem stets aufgedrehten Hahn immer wieder weitere Münzen auf dem Tisch.
Mit konzentrierter und konsequenter Arbeit gelingt es ihm, alle Münzen zu sortieren und dabei schneller zu sein als der nachfließende Münzstrom, er lehnt sich zufrieden zurück, der Tisch ist leer – für 30 Sekunden. Dann klimpert aus dem Hahn eine neue Münze, gleich darauf eine zweite und eine dritte. Innerhalb von Minuten hat sich wieder ein respektables Häuflein angesammelt, das schnell größer wird; die Freude ist verflogen, die Arbeit beginnt von vorn.
Gewiss: Bestünde ausschließlich darin das Tagwerk dieser Person, wäre das nicht weiter bemerkenswert. Auch die Müllbehälter im Wohngebiet sind stets aufs Neue randvoll, wenn das Trio von der Müllabfuhr das nächste Mal seine Runde dreht; auch der Busfahrer fährt seine Stammstrecke jeden Tag wieder ab; auch der Fußball-Weltmeister muss sich nach dem Triumph erneut durch die Qualifikation kämpfen, um beim nächsten Turnier dabei zu sein.
Was aber, wenn das Sortieren nur eine von vielen Aufgaben wäre, die zu erledigen sind, wenn das Sortieren nicht einmal die wichtigste Aufgabe ist? Wann widmet er sich den anderen Tätigkeiten?
Damit sind wir bei der Bearbeitung von E-Mails. Viele Leser dürften das Gefühl kennen, wenn nach einem „Kraftakt“ endlich einmal keine ungelesenen E-Mails mehr im Posteingang liegen: Ein Gefühl der Zufriedenheit stellt sich ein, während in diesem Moment zwei neue E-Mails eingehen. Bearbeitet man auch diese noch rasch, um den Posteingang „sauber“ zu halten? Bearbeitet man auch die vier weiteren E-Mails, die angekommen sind, während man eine etwas umfangreichere Antwort verfasst hat? Aber wann will man produktiv sein und die Aufgaben angehen, die vielleicht soeben aus den E-Mails extrahiert wurden?
Ich habe schon einmal das Szenario beschrieben, dass, wer wollte oder wer nicht aufpasst, den ganzen Tag damit zubringen könnte, E-Mails zu bearbeiten – der Nachschub ist ungebrochen. Ein entscheidendes Problem ist also, dass man angesichts der E-Mail-Flut mitunter nicht mehr in der Lage ist, die Arbeitszeit sinnvoll und produktiv zu nutzen, die sich aus den E-Mails ergebenden Aufgaben zu extrahieren, zu priorisieren und vor allem zu erledigen. (Ich habe Manager kennengelernt, die offen zugeben, E-Mail überhaupt nicht zu bearbeiten, weil sie sonst nichts anderes tun würden.)
Aus dem Missbrauch der E-Mail resultiert eine E-Mail-Flut, die die Produktivität jedes „Betroffenen“ reduziert und die den Nutzen deutlich einschränkt, den das Unternehmen aus der Leistung des (durch das immense E-Mail-Aufkommen zudem unzufriedeneren) Mitarbeiters ziehen möchte. In den folgenden Beiträgen Der E-Mail-Anhang ist oft die falsche Anwendung von Technologie und Aufgaben gehören nicht in E-Mails gehe ich darauf ein, wie sich dieses Problem meiner Meinung besser in den Griff bekommen lässt und wie sich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen lassen.
Weiterführende Informationen
Nicht relevante E-Mails sind böse
Rezepte gegen die E-Mail-Flut: E-Mails effizient beantworten
Die E-Mail-Flut bringt Geschäftsleute um
Mehr über die Creative-Commons-Lizenz erfahren
Die These “Der Siegeszug der E-Mail ist viel zu weit gegangen” finde ich interessant und durchaus richtig. Allerdings wird das Ausmaß der Kommunikation in Zukunft auch weiterhin zunehmen und es stellt sich somit die Frage, ob die Email nicht einfach durch andere Technologien (Instant Messenger, Social Media) ersetzt wird. Unterm Strich würde man also mindestens (!) genausoviel Zeit mit “Kommunikation” verbringen, da die Email an sich so schnell nicht verschwinden und somit nebenher weiter bestehen dürfte 😉
Ein guter Punkt, über den man umfangreich debattieren kann. Mir gefällt die Theorie, dass die Aufmerksamkeit von Menschen begrenzt ist und es nur darum geht, diese zu verteilen. Dann ist nämlich für mich selbst die Frage, wie ich diese Aufmerksamkeit so sinnvoll verteile, dass am Ende möglichst viel Ergebnis steht. Und da gibt es in vielen Fällen bessere Optionen als E-Mails.