Jetzt gerade, in diesem Moment, arbeitet irgendwo in seinem stillen Kämmerlein jemand an einer E-Commerce-Checkout-Applikation. Das ist nicht ungewöhnlich, es gibt Tausende E-Commerce-Websites mit eigenen Checkout-Prozessen und es werden immer und immer mehr, darauf gehe ich jede Wette ein.
Eine Checkout-Applikation umfasst für gewöhnlich folgende Elemente bzw. Prozessschritte:
- Einen Einkaufswagen, der anzeigt, welche Produkte gekauft werden sollen.
- Eine Abfrage von Versandinformationen.
- Eine Abfrage von Rechnungsinformationen.
- Eine Abfrage der gewünschten Zahlungsart.
- Eine Aufforderung, den Kauf zu bestätigen.
- Eine Bestellbestätigung nach Abschluss des Kaufes.
Mehr nicht. Sechs einfache Schritte zur Durchführung eines Online-Einkaufs. Wenn das so einfach ist, warum müssen wir dann dauernd neue Checkout-Anwendungen entwickeln? Warum kann nicht irgendjemand einen Out-of-the-Box-Checkout-Prozess erstellen, den wir dann in jeden beliebigen Web-Shop einbauen?
Checkout-Prozesse sind so individuell wie wir alle
Checkouts von der Stange würden aus einem einfachen Grund nicht funktionieren: Jeder Online-Shop ist einzigartig. Die Schritte sind zwar wahrscheinlich die gleichen, der Teufel steckt jedoch im Detail. Genauer gesagt steckt der Teufel in den spezifischen geschäftlichen Voraussetzungen und in den Bedürfnissen der Kunden. Jeder Shop muss etwas Einzigartiges haben, gerade dann, wenn es in der Branche viel Konkurrenz gibt und viele andere Anbieter ähnliche Produkte verkaufen.
Diese Einzigartigkeit hilft Kunden dabei, sich zu entscheiden, wo sie kaufen. Wollen sie den Anbieter mit den niedrigsten Preisen? Oder eher den, der den besten Versand-Service anbietet, auch wenn dafür die Preise etwas höher sind?
Was einen Online-Shop einzigartig macht, wirkt sich auch auf die Checkout-Applikation aus. Und zwar in jedem Schritt:
- Gibt es Aktionen wie „zwei Artikel zum Preis von einem“? Wenn ja, muss der Warenkorb das unterstützen.
- Wird der Versand als Geschenk angeboten? Wenn ja, muss diese Option auf der Seite mit den Versandinformationen anwählbar sein.
- Bietet die Seite besondere Konditionen für gewerbliche Kunden an? Dann muss das bei den Zahlungsinformationen beachtet werden.
- Gibt es im Voraus bezahlte Geschenkgutscheine? Dann muss bei den Zahlungsoptionen eine solche Auswahl möglich sein.
- Gibt es festgelegte Lieferfristen? Das muss aus der Bestätigungsseite hervorgehen.
- Werden auf der Seite einige Produkte als digitale Downloads angeboten? Dann muss es nach der Bestätigungsseite eine weitere Seite mit einer entsprechenden Anleitung geben.
Dies sind nur einige Beispiele. Zahllose Faktoren wirken sich auf eine Checkout-Anwendung aus: Marketing-Initiativen wie Ausverkäufe und Treueprogramme, Features wie Kundenkonten oder gespeicherte Zahlungsinformationen, auch die Bestellungsbearbeitung oder das Lieferanten-Management etc. Man fängt vielleicht mit dem Checkout von der Stange an, aber die nötigen Anpassungen werden den ursprünglichen Rahmen schnell sprengen.
Das geschäftliche Umfeld, die Unternehmensstrategie und die Geschäftspraxis haben einen starken Einfluss auf jede Web-Anwendung. Die besten Lösungen entstehen, wenn man sich die geschäftlichen Anforderungen genau ansieht und sie „natürlich“ erscheinen lässt, indem man eine Balance zwischen ihnen und den Bedürfnissen der Nutzer herstellt.
Wenn Unternehmensinteressen Kundenbedürfnisse überwiegen
Es ist kein Geheimnis, dass Airlines nach neuen Wegen zur Erhöhung ihrer Einnahmen suchen. Und natürlich haben sie zahlreiche kreative, vielversprechende Ideen, die sich in ihren Web-Anwendungen wiederfinden.
Wie bei den meisten Flugunternehmen können auch die Passagiere von United Airlines ihre Flüge über eine Applikation auf der Website buchen. In diese Anwendung haben die United-Airlines-Leute mehrere Zusatzoptionen integriert.
Eine davon ist der Award Accelerator. Teilnehmer am Uniteds-Treueprogramm können etwas mehr Geld ausgeben, dafür erhalten sie zusätzliche Meilen und kommen eher in den Genuss von Gratisflügen.
Abb. 1: Nehmen Nutzer am Award-Accelerator-Programm teil, erhalten sie zusätzliche Meilen.
In einer Studie, die wir durchgeführt haben, zeigten sich viele Kunden an dieser zusätzlichen Funktion interessiert und konnten sich vorstellen, sie zu nutzen. Doch bei vielen dieser User machte sich Verärgerung breit, als sie den Buchungsprozess durchliefen.
Abb. 2: Voreingestellt ist der Award Accelerator, es gibt nur einen Button „Option hinzufügen“.
An der Stelle im Checkout, an der nach der Teilnahme am Award Accelerator gefragt wird, ist für diese Option eine Vorauswahl getroffen und gibt es lediglich einen Button namens „Option hinzufügen“. Möchte der Nutzer seine Buchung fortsetzen, muss er entweder die Auswahl auf „Keine“ ändern oder einen unscheinbaren, nicht unterstrichenen Link mit der Bezeichnung „Überspringen und fortfahren“ anklicken.
Fluggäste, mit denen wir uns unterhalten haben, sagten uns, sie hätten das Gefühl, United Airlines wolle sie austricksen und dazu bringen, etwas zu kaufen, das sie zu diesem Zeitpunkt eigentlich gar nicht haben wollten. Die Entscheidung für eine automatische Vorauswahl hinterließ also einen ziemlich unschönen Nachgeschmack bei den Kunden.
Gewiss ist es möglich, dass United Airlines die Kunden gar nicht austricksen und zu einem Zusatzkauf verleiten will. Sie könnten auch einfach strikt der Regel „Akzeptieren ist immer ein Button, Ablehnen ist stets ein Link“ gefolgt sein. Trotzdem ist es nicht sehr verwunderlich, dass die Kunden den Versuch einer Irreführung vermuten.
Die besten Teams arbeiten hart daran, eine Balance zwischen Geschäfts- und Nutzerinteressen herzustellen und solche Kundenreaktionen zu vermeiden – das aufkommende Gefühl also, dass das Unternehmen seine eigenen Interessen über die der Kunden stellt.
Clevere Lösungen um geschäftliche Besonderheiten herumbauen
Wie bei United Airlines müssen auch die BestBuy-Leute geschäftliche Besonderheiten in der Web-Applikation abbilden. Und im Gegensatz zum Team von United Airlines ist es dem BestBuy-Team gelungen, trotz eines komplexen Geschäftsumfelds eine angenehme Nutzererfahrung zu schaffen.
Auf BestBuy.com sowie in einigen anderen Online-Shops müssen Käufer einige Produkte erst in den Einkaufswagen legen, um die Preise sehen zu können. Dieses ungewöhnliche Vorgehen ist vielen Kunden verständlicherweise ein Dorn im Auge: Sie haben das Gefühl, der Anbieter wolle sie hereinlegen und zu einem versehentlichen Kauf verleiten, und machen den Vorgang rückgängig.
Abb. 3: Bei einigen Produkten darf BestBuy.com keine Preise anzeigen, die unterhalb der Preisempfehlung des Herstellers liegen.
Aber dahinter steckt kein Trick und der Händler ist nicht darauf aus, dass Kunden aus Versehen einen 2.000-Dollar-Kühlschrank kaufen. Es handelt sich vielmehr um ein spezielles Geschäftsprinzip der Hersteller namens Minimum Advertised Pricing (MAP), das einen fairen Handel gewährleisten soll: Große Händler bekommen die besseren Konditionen, da sie in großen Mengen bestellen können. Dafür verpflichten sich diese großen Jungs, ihre Endpreise erst anzuzeigen, wenn die betreffenden Produkte im Warenkorb liegen, wo Suchmaschinen-Crawler sie nicht finden können. Dadurch sollen die Chancen kleinerer Händler gewahrt bleiben.
Abb. 4: BestBuy hat einen speziellen Dialog entwickelt, um die MAP-Regeln zu befolgen.
Die Vereinbarung besagt, dass der Preis erst angezeigt wird, wenn der Artikel im Warenkorb liegt, aber sie besagt nicht, wie der Preis darzustellen ist.
Die BestBuy-Leute haben eine clevere Lösung gefunden. Wenn der Nutzer klickt, sieht er den Artikel samt Preis. Im Hintergrund wird das Produkt ganz offiziell in den Warenkorb gelegt, wovon der Nutzer aber nichts merkt. Er sieht nämlich zwei Buttons: Einer besagt, dass man den Preis gesehen hat und auf den Kauf verzichtet, der andere, dass man den Artikel kaufen möchte. Ein Klick auf den ersten Button entfernt das Produkt aus dem Einkaufswagen, beim Klick auf den zweiten bleibt es drin.
Damit vermeidet BestBuy, dass Nutzer wie bei anderen MAP-Implementierungen Tricksereien wittern, und erfüllt zugleich die Bedingungen des Herstellers. Es ist eine große Herausforderung, solche cleveren Checkout-Lösungen zu finden, aber gerade sie machen Spaß.