Die Sitemap: eine informationsarchitektonische Drückebergerei

„Wie kommen Sie darauf, Ihre Sitemap bräuchte eine Überarbeitung?“ Das fragte ich den Website-Verantwortlichen einer mittelgroßen Behörde.

„Unsere Log-Daten zeigen, dass sich einer von sechs Usern auf die Sitemap klickt. Wir haben sie ziemlich vernachlässigt und sind der Meinung, sie könnte sicher besser werden.“

Einer von sechs, das ist viel; vor allem, wenn eine Seite mehr als eine Million Besucher im Monat verzeichnet. Es ist nur zu verständlich, dass das Team von mehr als 166.000 Sitemap-Besuchern überrascht ist und diese Page nun so gut wie irgend möglich machen möchte. Es gibt jedoch ein Problem: Nach unseren Erfahrungen wäre das reine Zeitverschwendung, denn die Verbesserung der Sitemap ist nichts als Drückebergerei.

Teams aus Drückebergern

Als Drückebergerei bezeichnen wir es, wenn ein Team an der Bekämpfung von Symptomen arbeitet, anstatt das Übel an der Wurzel zu packen, und eine kleine Änderung der Lösung eines echten Problems vorzieht.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Es ist ein ehrenhaftes Anliegen, jeden Aspekt einer Website voller Perfektionismus anzugehen. Genau das hatte wohl auch der Manager vor. Allerdings erfordert die Beschäftigung mit den Symptomen auch deutlich geringere Anstrengungen als User-Forschung, das Durchlaufen von Trial-and-Error-Prozessen usw., um ein Problem zu beheben. Natürlich kann es gute Gründe geben, sich tatsächlich nur auf die Symptome zu konzentrieren: So stehen eventuell viele Teams unter besonderem Zeitdruck und können deshalb größere Vorhaben nur schwer durchsetzen.

Verschwendet man diese begrenzten Ressourcen aber auf die Beschäftigung mit den Symptomen, zögert man das Unvermeidliche lediglich hinaus. Aus Drückebergerei resultieren kontinuierlich anfallende Arbeiten und ständige Updates, während die Beseitigung des eigentlichen Problems die Schwierigkeiten im Keim erstickt und langfristig Ressourcen freisetzt.

Eine wohltuende Sitemap für empfindliche Haut

Vor ein paar Jahren kam eine Testteilnehmerin in unser Labor, die unter einer neu entdeckten Krankheit litt: der Chemikalien-Unverträglichkeit Chemical Sensitivity. Ein unangenehmer Ausschlag machte ihr zu schaffen und eine Freundin hatte ihr erzählt, es gäbe eine tolle Produktserie von Dove, die ihr helfen würde.

Also entschlossen wir uns, Dove.com einmal einen Besuch abzustatten. Zu dieser Zeit bestand die Homepage lediglich aus allgemeinen Links mit nichts-sagenden Marketing-Schlagwörtern wie „Ihr Körper“, „Ihr Haar“, „Ihre Haut“ oder „Wahre Schönheit“. Nun hatte die Teilnehmerin eigentlich Probleme in all diesen Bereichen und wusste nicht, wo sie anfangen sollte. Ihre Unschlüssigkeit trieb sie schließlich auf die Sitemap.

Diese unterschied sich deutlich von der Startseite und bestand aus fast 50 Links (zumeist auf Produkte), die in Kategorien eingeteilt waren. Einer dieser Bereiche hieß „Empfindliche Haut“, unser Gast klickte sich in diese Kategorie und fand dort den gewünschten Artikel.

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als hätte die Userin die Aufgabe erfolgreich bewältigt, immerhin war sie ja fündig geworden. Trotzdem muss man der Homepage komplettes Versagen vorwerfen – schließlich war die Sitemap am Ende die einzige Hoffnung unserer Probandin. (Interessanterweise wurde Dove.com später einem Relaunch unterzogen und die Sitemap nur noch einfachgestaltet. All die hilfreichen Produktlinien sind inzwischen verschwunden und mussten allgemeinen Links wie „Haar“ und „Gesicht“ weichen.)

Die Sitemap als Drückebergerei

Heute gelangen User auf zwei Wegen auf eine Website. Entweder geben sie die URL ein und landen auf der Startseite, oder sie werden (zum Beispiel durch Google) auf eine spezifische Seite innerhalb der Website weitergeleitet. Bei einigen Sites ist der Weg über die Homepage der populärere, aber in zunehmendem Maße stoßen Nutzer über tiefe Links auf Web-Inhalte.

Es ist interessant, dass kein User jemals direkt auf der Sitemap-Seite abgesetzt wird. Wie unsere Dove.com-Nutzerin stöbern sie auf anderen Pages nach Schlüsselwörtern, die zum gewünschten Inhalt führen.

Die Sitemap an sich ist keine Informationsspur – eine solche Informationsspur ist ein Hinweis darauf, ob ein Link zum gewünschten Content führt. Nur das Nicht-Vorhandensein jeglicher Spur bringt den User auf den Gedanken, die Sitemap wäre ein geeignetes Hilfsmittel. Also besteht das wirkliche Problem in den Seiten, die zur Sitemap führen und die keine Informationsfährten aufweisen. Diese Probleme zu beheben, würde eine Sitemap überflüssig machen. Die Sitemap stattdessen zu vervollkommnen, ist deshalb einfach Drückebergerei.

Natürlich hat eine Sitemap ihre Daseins-Berechtigung und ich verlange ja nicht, dass Sie sie augenblicklich hinauswerfen. Beispielsweise durchsuchen die Spider von Suchmaschinen die Sitemap nach Pages, die sie auf anderem Wege schwer finden. Bis diese Seiten nicht einfacher zugänglich sind, ist die Sitemap kaum verzichtbar. (Natürlich, wenn Spider nur über die Sitemap ans Ziel gelangen, geht das möglicherweise auch vielen Usern so – ein deutlicher Hinweis auf ein großes Problem.) Wir empfehlen nur, hart daran zu arbeiten, sie redundant zu machen.

Die Sitemap-Drückebergerei vermeiden

Wenn Sie also feststellen, dass eine Menge User Ihre Sitemap besuchen, ist das ein Hinweis auf ein Problem mit dem Informationspfad. Seit Jahren empfehlen wir die Positionierung der wichtigsten Sitemap-Links auf der Homepage. In vielen Fällen beseitigt eine link-reichere Startseite viele Schwierigkeiten und reduziert das Verlangen nach einer Sitemap deutlich (und nebenbei auch den Zeitaufwand für die Nutzer).

Ein Blick auf die Analyse-Daten Ihrer Site hilft Ihnen, den Ursprung des Traffics auf Ihre Sitemap zu lokalisieren. Ist das nicht die Homepage, werden Sie eben tiefere Seiten, die Besuche generieren, identifizieren müssen. Wer den Weg des Users von einer bestimmten Page über die Sitemap auf eine Zielseite rekonstruiert hat, kann sich ein genaues Bild davon verschaffen, wo Informationspfade verbessert werden müssen. Und wer sorgfältig an der Eliminierung von Sitemap-Besuchen arbeitet, leistet einen signifikanten Beitrag zur Steigerung der Nutzungsfreude.

Im Idealfall investieren Sie etwas Zeit in die Beobachtung Ihrer User. Schauen Sie den Nutzern zu und wenn Sie ein Fährten-Problem haben, werden Sie sehen, wie die User sich auf die Sitemap klicken. Fällt uns soetwas auf, fragen wir sogleich, wonach ein Teilnehmer sucht, und machen uns anschließend sofort darüber Gedanken, wie wir den Informationspfad auf der entsprechenden Seite verbessern können.

User wollen keine Sitemaps

Wenn Ihre User sich nach einer Sitemap (oder gar der Optimierung einer bestehenden Variante) erkundigen, geschieht das nur aus einem Grund: Sie wissen nicht, dass sie eigentlich nach besseren Informationspfaden auf den Ursprungsseiten fragen müssten. Ich habe hunderte User-Tests persönlich geleitet und mir hat kein einziger Teilnehmer gesagt: „Ich liebe diese Site. Was ich gesucht habe, war leicht zu finden, und alles hat toll funktioniert. Nur die Sitemap-Seite mochte ich nicht besonders und deshalb werde ich diese Website niemals wieder benutzen.“ Die Sitemap bewahrt eine Site lediglich vor dem totalen Kollaps. Lösen Sie die tiefer liegenden Probleme und die Sitemap ist nicht länger nötig. Sein Sie kein Drückeberger.

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Dieser Artikel wurde im Original am 12. August 2008 unter dem Titel „The Site Map: An Information Architecture Cop-Out“ von Jared M. Spool veröffentlicht. Jared M. Spool gehört zu den führenden Usability-Experten unserer Zeit. Seine Website erreichen Sie unter http://www.uie.com/. Weitere Artikel von Jared M. Spool finden Sie im Usability-Special von //SEIBERT/MEDIA.

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